Architektur trifft GenialitätEin Name wie ein Programm! Glockengießer, Ingenieur, Erfinder, Architekt, Hauptmann, Unternehmer. Balthasar Neumann ist ein Phänomen und gleichzeitig Naturereignis für die Stadt Würzburg. Noch immer prägt seine Handschrift diesen Ort auf Schritt und Tritt. Als Glockengießer-Geselle auf Wanderschaft blieb der junge, ursprünglich aus Eger stammende Balthasar Neumann ab 1711 in
Würzburg hängen, wo er zunächst in einer Gießhütte arbeitete und ab 1714 bereits für das Hochstift Würzburg. Der Ingenieurshauptmann und Architekt Andreas Müller hatte ihn dorthin geholt, nachdem er das Talent Neumanns erkannt hatte. So kam es, dass dessen komplette Karriere bis zum Schluss auch von einer formal-militärischen Laufbahn begleitet wurde. Der sehr, sehr massive Festungsausbau von Stadt und Marienberg (die wenigen, noch erhaltenen Bastionen lassen das Gewaltige der Gesamtanlage noch erahnen) ist z.B. ebenfalls das Werk Neumanns. Ebenso gehörten weitere städtebauliche Aktivitäten nicht nur in Würzburg (hier gehört die Kanalisation zu seinen kleinen Wundern; dazu später in anderem Zusammenhang noch ein Wort) dazu.Joseph Greising war ebenfalls angetan von Neumanns Talenten bei vielen ingenieurtechnischen Problemstellungen und im Kontext auch architektonischer Lösungen. 1719 entwirft und baut Neumann für sich ein erstes Wohnhaus in der Burkarderstraße, das ungeplant sehr viel Beachtung findet und auch stilbildend werden sollte. Noch im selben Jahr folgt er Greising weitestgehend in dessem Amt als Hofarchitekt nach, als dieser stirbt. Ungefähr zu dieser Zeit plant der (etwas selbstherrlich regierende) Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn
Stadt zu errichten, da er die Festung nicht mehr für angemessen erachtet. Auf Anraten seines Onkels Lothar Franz von Schönborn - Erzbischof zu Mainz - ernennt er 1720 tatsächlich den zwar hochbegabten, aber unerfahrenen Balthasar Neumann zum Baumeister der neuen Residenz zu Würzburg, welche der Vorgabe nach alles bisher dagewesene weit überstrahlen (also auch Schloss Versailles) sollte und so etwas wie das Hauptvermächtnis der Schönborns zu werden hatte. Eine Entscheidung, welche den Schönborns neben dem Wirken des Dynastiegründers einen Platz in der Geschichte geben wird.Der selbstbewusste Neumann stellt sich der Herausforderung und ist bereit groß zu denken. Sehr groß! Für die Aufgabe besucht er während einzelner Phasen verschiedenste Orte für Anregungen und zu Studienzwecken. Neben der Lösung unzähliger Detailaspekte gilt sein Augenmerk vor allem dem Repräsentationscharakter der Anlage in einer nie gekannten Art und Weise. - Staatsgäste würden über die gewaltige Freifläche und den mächtig umbauten Ehrenhof mit der Kutsche direkt in das Schloss ein- und vorfahren und dort empfangen von den Stufen einer unfassbar großzügig und repräsentativ gestalteten Freitreppe herab, wie es dies innerhalb eines Gebäudes noch nie gegeben hat. Breit, leicht, erhaben und dennoch so hoch wie mächtig, überspannt von einem flachen Gewölbe solchen Ausmaßes, wie es das natürliche Himmelszelt nicht besser anzubieten hätte.In Mannheim fand Neumann die Idee dazu, wie seine Treppen entstehen sollten und brachte diese Idee in Paris schließlich zur Reife. Dort entwickelte er auch im Dialog mit den Architekten des königlichen Hofes seine ganzheitlichen Raumideen für das zu entstehende Schloss. Mit dem Wiener Hofarchitekten Lucas von Hildebrandt wurde Neumann neben weiteren einer der profiliertesten Architekten jener Zeit 'als Aufsicht' zur Seite gestellt. Gleichwohl sie sich in vielen Detailfragen und Lösungen gegenseitig befruchteten, bezweifelte Hildebrandt Neumanns Ideen für den Mittelbau mit dem Treppenhaus und vor allem dem Gewölbe, das seiner Meinung nach unmöglich zu verwirklichen sei. Neumann setzte sich durch und realisierte es aus Tuffstein und den Druck ablenkenden Eisengewebes. Es ist bis auf den heutigen Tag das größte freitragende Gewölbe der Welt. - Im zweiten Weltkrieg blieb beim Bombardement am 16. März sogar ein Blindgänger darauf liegen (Dach und Dachstuhl waren zerstört), den es überstand. - Neumann schuf schliesslich ein Schloss, das die Entwicklung des Barock und in gewisser Weise der Architektur als solcher abschloss. Seither sind weltweit keine echten Weiterentwicklungen bekannt, sondern im Grunde nur Retro-Bauten und Stile entstanden, wenn man gewillt ist, das moderne Architektur-Design sowie z.B. auch das Bauhaus einmal aussen vor zu lassen.Neben dem weltberühmten Treppenhaus finden sich weitere herausragende Räumlichkeiten. So ist die Hofkirche - ein durchaus großzügiger, üppig mit barockem Kunstmarmor ausgestatteter Kirchenraum - vollständig in den Südflügel integriert und von außen als solche nicht erkennbar. Gartensaal, Weißer Saal, Toskanasaal (Südflügel/Hörsaal der Universität) und Kaisersaal sind repräsentative Räume, auf die jedes Schloss einzeln schon neidisch wäre. Dazu nach Norden und Süden lange Zimmerfluchten mit speziellen, individuellen Ausstattungen, wie etwa das berühmte Spiegelkabinett. Die 'unsichtbaren' Dienstbotengänge sind ebenfalls eine Schau und ermöglichten es, sich tatsächlich ungesehen durch das Schloss zu bewegen. Der barocke Hofgarten mit seinen verschiedenen Abschnitten und Ebenen, welche durch die Einbettung in die Festungsbastionen der Stadt zustande kommen (auch eine Idee Neumanns), ist ebenfalls ein Kunstwerk der Gartenarchitektur und darf bei keinem Besuch der Stadt fehlen.Napoleon, der sich dreimal in Würzburg und hier in der Residenz aufhielt, bezeichnete das Schloss etwas spöttisch angeblich als das "schönste Pfarrhaus der Welt". Wo der Mann Recht hat, hat er Recht.Balthasar Neumann war auch ein kommerzieller Unternehmer ebenso wie Joseph Greising. Er betrieb erfolgreich eine Glashütte im Steigerwald (existiert noch heute) und eine Spiegelschleiferei in Würzburg. Seinen Wohnsitz verlegte er schon 1724 zentral in der Stadt in den sogenannten 'Hof Ober-Frankfurt' direkt gegenüber des Riemenschneider-Hauses. Dort richtete er auch sein Architekturbüro ein und erbaute auf dem Dach die berühmte 'Neumannkanzel' (überstand den Bombenangriff 1945 und ist noch heute weithin sichtbar), von der aus er seine über die Stadt verteilten Baustellen beobachten konnte.Balthasar Neumann war ein Mann mit unglaublich vielen Talenten. Er war nicht nur der genialste Baumeister seiner Zeit auf einem bestimmten Gebiet, sondern betätigte sich geradezu universell. In Ansätzen vielleicht vergleichbar mit Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci und Michelangelo zwei Jahrhunderte oder Galilei ein Jahrhundert zuvor. Er widmete sich nicht nur Schloss- und Sakralbauten, sondern auch dem Städtebau als Gesamtkonzept und natürlich dem Festungsbau. Er ersann besondere Lösungen im Wasserbau, beschäftigte sich sehr erfolgreich mit ingenieurtechnischen Problemen. Sein schon in jungen Jahren entwickelter Proportionalzirkel löste zum Beispiel spezifische Probleme speziell des Säulen- und Fassadenbaus. Im Rahmen des Profanbaus geht das klassische Wohn- und Geschäftshaus (Carré mit Tor zum Innenhof und je zwei Geschäften an jeder Seite, zwei Wohn- und ein Dienstbotengoss im Pultdach darüber), das in ganz Europa Eingang ins Stadtbild fand, auf ihn zu zurück. In Würzburg gab es zwei von diesen Anlagen. Eine sieht man heute an der Südostseite des Unteren Marktes, die zweite wurde im Krieg zerstört. Sein Werk ist in Würzburg allgegenwärtig, sei es das Käppeleoder der Anbau der Schönbornkapelle am Würzburger Dom. Auch anderenorts hat er Herausragendes geschaffen, z.B. die Rundkirche mit der Kuppel in Holzkirchen und natürlich die Klosterkirche in Neresheim. Die letzte Serie des 50 DM Scheines (viele hielten es für einen Würzburg Geldschein) war ab 1991 ihm gewidmet. Schon zu seinen Lebzeiten oder in unmittelbarer Folge waren eine ganze Reihe bedeutender Künstler in Würzburg tätig, und dies nicht zuletzt weil Balthasar Neumann die einzigartigen Voraussetzungen dafür geschaffen hatte. Hier eine kleine Auswahl dieser Künstler-Persönlichkeiten: Die Fresko-Maler Johannes Zick und Giovanni Battista Tiepolo, der Stuckateur Antonio Bossi, der Bildhauer Johann von der Auwera und z.B. auch der Kunstschmied Johann Georg Oegg, welcher die schmiedeeisernen Arbeiten rund um die Residenz geschaffen hat.