Stadtbezirk des modernen Würzburg
Das "Frauenland" schliesst sich im Osten an die Stadtmitte an und bedeckt die gesamte Fläche der auf dieser Mainseite hier
nicht so steil ansteigenden Hänge, weshalb sich ja auch das historische Stadtgebiet hauptsächlich rechtsmainisch entwickelt hat. Es ist
das gefühlt grösste Viertel der Stadt, obgleich die Stadtmitte mehr Einwohner hat. Der Name 'Frauenland' leitet sich davon ab,
dass das Terrain bis zur Säkularisation 1803 mehreren Frauenklöstern gehörte. Ich vermute mal, dass diese das Gelände u.a.
mit Obstbäumen und sicher auch mit Wein bewirtschafteten (müsste man in den Klosterarchiven einmal nachforschen), denn so war es
in dem damals freilich sehr kleinen Weiler Gerbrunn auf der anderen Seite des Bergkamms der Fall.
Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war auf dem gesamten weitläufigen Gebiet nichts weiter zu finden als eine Manufaktur
für Kutschen und Karren sowie die Gartenwirtschaft am heute noch ebenso genannten "Letzten Hieb
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". Auch dieser Name
entspringt übrigens dem fränkischen für das schlichte Gegenständliche, für das derb Direkte. Im 18. und 19. Jahrhundert befand sich
dort ca. 100 Meter weiter oben der Richtplatz der Stadt mit dem Galgen, weshalb jene Stelle denn auch 'Am Galgenberg' heisst. Auf
dem Weg zur Hinrichtung wurden die Verurteilten zur Vorbereitung mehrmals mit Rutenstreichen oder glühenden
Zangen bedacht, und den 'letzten Hieb' ihres verwirkten Lebens erhielten sie also an dieser speziellen Stelle. Raue Sitten waren das.
Das ausgebombte Gebäude der Wirtschaft mit dem Felsenkeller wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut und beherbergt - siehe da -
eine Gastwirtschaft, die insbesondere bei den Amerikanern der ehemalig benachbarten Leighton Baracks sehr beliebt gewesen ist. Als
Richard Wagner 1833 Chorleiter in Würzburg war, kehrte er sehr häufig im 'Letzten Hieb' ein und entwickelte mit
Begeisterung Pläne dafür, an diesem Ort ein grosses Festspielhaus zu errichten. Dies fand jedoch bei Stadtrat und
Bürgermeister kein Gehör. Der junge Wagner verliess Würzburg schon bald darauf und der Rest ist Geschichte.
Nach der Entfestigung dehnte sich die Stadt zunächst nur sporadisch in dieser östlichen Richtung aus. Hinter der Bahnlinie realisierte
der damals sehr aktive Verschönerungsverein ab 1880 die Parkanlage Karolinenruhe als Muster- und Vorzeigeprojekt. - Schon
in den 1920er Jahren ging allerdings ein großer Teil durch die Grundstücksrückforderung der Reichsbahn und anschliessender
Bebauung wieder verloren. Und dann noch einmal in den 1970er Jahren als die große Autostrasse (Mittlerer Ring) breit ausgebaut
wurde. Heute ist leider nur ein Rest des Parks noch vorhanden, den ausser den Anwohnern kaum jemand kennt und wahrnimmt. Auch
dies ist Stadtgeschichte.
1898 ist am heutigen Wittelsbacher Platz das grosse Universitätsgebäude als Schullehrerseminar entstanden und diesem
Zweck dient es mit verschiedenen Studiengängen der Pädagogik noch heute. Gelegentlich wird es fälschlicherweise als
"Wittelsbacher Schloss" bezeichnet, da der Bau in der Tat mit seinen beiden Hauptflügeln sowie Eckpavillons und dem
repräsentativ in der Fassade gegliederten Mittelpavillon so etwas wie Schlosscharakter besitzt. Am passendsten ist vielleicht die knappe
Bezeichnung "Wittel", wie sie bei den Studierenden in Gebrauch ist.
Während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts entstand im unteren Frauenland in etwa zwischen Ringpark und Bahnlinie
eine Bebauung mit grossen städtisch-bürgerlichen Wohnhäusern, wie es für jene Zeit üblich gewesen ist. Auf dem heute
Sieboldshöhe genannten südlichen Teil des Berges entstand ab 1928 die "Gartenstadt Keesburg" als Mustersiedlung mit
engstehenden gedrungenen und gleichförmigen Häusern mit Garten, die es freilich z.B. auch Angestellten und Beamten niederen
Ranges ermöglichen sollte, in das eigene Haus einzuziehen. Zunächst hiess das Wohnungsbauprojekt noch Hindenburgsiedlung und lag
damals wirklich weit ab des Zentrums. Hier oben findet man seit 1966 eine kleine Sternwarte und den sehr schön eingerichteten
Planetenweg mit seinen Schautafeln. Auch das ehemalige Gebäude der FH Grafik Design war hier beheimatet, deren Studierende einst
für kreative Partys und Installationen bekannt waren. Es musste aufgrund einer in ihren Aussmassen kaum glaubbaren
Asbestbelastung abgerissen werden; nach Jahren der Improvisation haben die Designer 2012 eine neue Heimstadt am Rand der
Keesburg auf halbem Weg zur Uni 'Am Hubland' erhalten. Dieses neue Gebäude selbst ist ein Stück Grafik Design. - Der Name
'Keesburg' hat diesmal nichts mit einer eventuell früher vorhandenen Burg zu tun, sondern entspringt der Fantasie der
Würzburger, die Anfang des 19. Jahrhunderts etwas spöttisch der Meinung waren, dass der Sommersitz des zu Wohlstand
gekommenen Maurermeisters Joseph Kees aus der Ferne - wir erinnern uns, dass der Berg praktisch unbebaut war - wie eine Burg
aussähe.
Am nördlichen Ende des Frauenlandes befindet sich - nicht weit entfernt vom 'Letzten Hieb' die "Herz-Jesu-Kirche", welche auch
'Mariannhillkirche' genannt wird, da sie zu dem missionsärztlichem Priesterseminar Mariannhill gehört. Der erst 1927/28
entstandene Bau überrascht mit einer schwer und wuchtig wirkenden Massigkeit sowie mit seiner scharfen, gedrungen und eckigen
Formgebung. Insbesondere der polygone Glockenturm wirkt dabei mehr wie ein stark befestigter Wachturm einer Zitadelle denn wie
ein Sakralmonument. Die mächtigen Aussenpfeiler des Schiffes stützen den Bau nicht nur, sondern erzeugen wiederum den Eindruck
der Wehrhaftigkeit. Die der Stadt zugewandte Hanglage tut ein übriges, um das Gesamtbild noch zu verstärken. Der nach Norden
anschliessende, beinahe 100 Meter lange Flügel des Priesterseminars folgt im Wesentlichen den gleichen Gestaltungsmerkmalen, wenn
auch nicht so ausgeprägt.
Die zunächst etwas wunderlich und vielleicht sogar deplatziert wirkende Anlage bringt allerdings durchaus nachvollziehbare Gründe
mit. Hier wurden und werden Missionspriester der Ordensgemeinschaft der Trappisten für Afrika ausgebildet. Der Komplex sollte
daher weithin sichtbar den sogenannten 'Missionsstil' und damit auch seine Bestimmung repräsentieren. Man wird der
Behauptung gerne beipflichten wollen, dass dies gelungen ist. Und weil die Interpretation der Aufgabe damals ausserdem einigen
expressionistischen Ideen folgte ist alles nur umso interessanter geworden, wie es z.B. Form, Fläche, Ecke, Deckenform und Fluss
des Treppenturmes zeigen oder auch die Bogengestaltungen und Seitenkapellen statt den erwarteten Seitenschiffen des ansonsten
sehr schlicht auf das Wesentliche reduzierten Innenraumes.
Ob übrigens gewollt oder eher zufällig der massiven, hochgeschlossenen Bauweise geschuldet, die 'Herz-Jesu-Kirche' besitzt neben
der 'Neubeukirche' die beste Akustik eines Sakralbaus in der Stadt, weshalb hier auch häufiger Konzerte und v.a.
Chorveranstaltungen besonderer Güte stattfinden.
Ab 1952 entstand auf dem Gelände direkt benachbart zusätzlich eine eigene Missionsärztliche Klinik, im Volksmund einfach
'Missio' genannt, mit Abteilungen von der inneren Medizin bis zur Chirurgie. Weltweit bekannt und auch in der Forschung hoch
anerkannt ist hier aber vor allem das Tropeninstitut.
Alles in allem ist das Würzburger Frauenland gewiss nicht der Stadtbezirk der Sehenswürdigkeiten, welchen Sie als Besucher
prioritär ansteuern werden. Aber festhalten sollte man unbedingt, dass es wohl dieser Stadtteil ist, der in seinen Bewohnern am
authentischsten das moderne Würzburg repräsentiert. Hier leben Professoren und Studis gleichermassen. Alte Menschen und
ebenso viele junge. Wir finden Strassenzüge mit grosszügig angeordneten Einfamilienhäusern, aber auch Komplexe von
Wohngenossenschaften. Es ist der Stadtteil von Lehrern, Beamten und Angestellten, die miteinander eindeutig die Würzburg heute
prägende Bevölkerungsgesicht bilden. Ohne das Frauenland wäre die Stadt wahrscheinlich kaum lebensfähig, in jedem Fall aber vor
allem intellektuell sehr viel ärmer.
Das Frauenland
“Missio”
Bilder aus dem Stadtbezirk
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